Kann man Lieder übersetzen?
Über die Arbeit an der deutschsprachigen Fassung von
„Povo a caminho“
Manche stellen es sich einfach vor. Man übersetzt den Originaltext und jongliert so lange mit Wörtern und Satzbau, bis die Gesamtsumme von Wortsilben und Noten Übereinstimmt. Manche praktizieren das auch, und das Ergebnis sehen wir an zahlreichen unsingbaren Spiritual-, Genrosso- und Taize-Übersetzungen. Der Sprachrhythmus stimmt nicht mit der Melodie überein, der grammatikalische Satzbau wird verdreht, die Poesie und oft auch der Inhalt des Originaltextes gehen verloren.
Ein Blick in ein Wörterbuch zeigt schon das Problem mit der unterschiedlichen Wortlänge zwischen Original und Übersetzung. Selbstverständlich geht auch der Reim verloren, und manche Redewendungen und Floskeln sind in einer anderen Sprache nur sehr umständlich wiederzugeben.
In zusätzliche „Platznot“ gerät der Übersetzer romanischer Liedertexte: Da werden aufeinanderfolgende Selbstlaute einfach in einer Note zusammengezogen, Endsilben werden gerne „verschluckt“.
Bei meinen bisherigen Übertragungsarbeiten aus verschiedenen Sprachen ging es vor allem um die inhaltliche Aussage, die unserer Sprache und Mentalität entsprechend, vermittelt werden sollte.
Bei „Povo a caminho“ ging es aber um mehr. Nicht nur um den Inhalt, sondern auch um das geistige Umfeld, aus dem die Lieder entstanden sind. Es sollte versucht werden, die Seele des brasilianischen Volkes und das Leben in den Basisgemeinden mitschwingen zu lassen: Einfachheit und Größe, Trauer und Wut, Hoffnung und Selbstsicherheit, den tiefen Glauben, die Gemeinschaft und sogar den feinen Humor, der in manchen Wortspielen durchklingt.
Und: Die Lieder sollten bei uns auch wirklich nachsingbar sein, in unserem europäischen Empfinden nachfühlbar werden.
In unserer „harten“ Sprache mit den vielen Mitlauten lassen sich die raschen Melodien kaum nachsingen, daher mussten für solche Refrains „melodiösere“ Texte gefunden werden. Und für die blumige Sprache, die bei uns oft als Kitsch oder Phrase empfunden wird, mussten andere poetische Bilder gefunden werden.
Es war nicht einfach, einen Kompromiss zwischen allen gestellten Anforderungen zu finden. Dennoch hoffe ich, dass die in Monate langer Arbeit entstandenen und mehrmals überarbeiteten Texte ihrem Anliegen gerecht werden.
Manfred Porsch